In der Bauecke gibt es Tumult. Greta und Nicolas haben Stress. Wie die Kampfhähne gehen sie aufeinander los. Beide haben hochrote Köpfe. Beide schreien. Die übrigen Kinder schauen hilflos zu. Eines rennt zu Simone, der Erzieherin. Sie hat den Streit schon bemerkt und sich auf den Weg in die Bauecke gemacht. Nur mit Mühe kann sie die beiden streitenden Kinder trennen.
Tränen des Zorns laufen über Nicolas Wangen. Auch Greta kann sich kaum beruhigen. Noch immer schauen die anderen Kinder wie hypnotisiert zu. Dann Nicolas: „Die Greta hat angefangen!“ Greta holt Luft und brüllt so laut sie kann, dass das gar nicht stimme.
Simone ruft laut „Stopp!“ Dann wendet sie sich Greta zu: „Greta, Du bist gerade ganz schön wütend, oder?“ Greta nickt. Dann wendet sich Simone Nicolas zu: „Nicolas Du bist gerade richtig sauer, oder?“ „Ja, Greta hat mich mit einem Legostein gehauen.“ Als er weiterreden will, unterbricht ihn Simone mit einem „warte mal eben, ich möchte nur sichergehen, dass ich Dich richtig verstanden habe, Du bist auch richtig wütend?“ Jetzt nickt Nicolas.
Die Fragen erscheinen Ihnen albern? „Ist ja nicht schwer zu erkennen, dass die beiden Zankäpfel grade stinkesauer sind“, mögen Sie sich sagen. Ja, und das ist die erfreuliche Nachricht. Denn was Simone hier tut, nennt sich „Empathie geben“. Und das ist gar nicht so schwer, wie mancher glaubt. Auch wenn es noch so offensichtlich ist – indem Sie das Gefühl des anderen laut vermuten, können Sie der Emotion die Intensität nehmen. Und das ist schon die halbe Miete!
Denn mit jedem „Ja“ das sie hören, werden die beiden Rumpelstilzchen ruhiger. Und jetzt kann Simone den guten Grund für jeden erforschen. Auch hier fragt sie wieder empathisch nach. „Nicolas, Du möchtest nicht geschlagen werden?“ Der Zustimmung ist sich Simone ziemlich sicher. Dennoch fragt sie. Das hat mit Respekt zu tun. Denn wir Menschen mögen es so gar nicht, wenn uns jemand sagt, wie wir uns fühlen oder was wir brauchen. „Du möchtest, dass alle nett miteinander umgehen?“ Wieder nicken. Bei Greta kommt heraus, dass sie gefragt werden möchte, bevor jemand an einem Bauwerk mitbaut, das sie begonnen hat. Nicolas hingegen wollte mitspielen. Simone versichert sich, dass beide Kinder den guten Grund des anderen verstehen.
Da jetzt die Karten auf dem Tisch liegen – also die Gefühle und Bedürfnisse -, kann Simone den letzten Schritt, die Bitte oder die Lösungsstrategie einleiten. Sie fragt beide, ob sie eine Idee haben, wie sie sich wieder vertragen können. Manche Kinder unterbreiten an dieser Stelle durchaus sinnvolle Vorschläge. Und wenn der andere einwilligt, ist das Problem vom Tisch. Manche Kinder brauchen an dieser Stelle ein paar Lösungsimpulse. Das ist völlig o.k. Wichtig ist bei beiden Varianten, dass beide Kinder der Lösung mit einem deutlichen „JA“ zustimmen. Das schafft Verbindlichkeit. In diesem Fall hat Greta eingewilligt, dass Nicolas mitbaut, wenn er sie vorher fragt. Er fragt, Greta sagt ja. Die beiden bauen weiter.
Dann steht Simone auf und verlässt die Bauecke.
Wenn ich diese Methode pädagogischem Fachpersonal vorstelle, haben manche Teilnehmer Zweifel: Dauert das nicht viel zu lange? Zugegeben, es dauert länger, als ein energisches „Auseinander Ihr Zwei, hier wird nicht geschlagen. Jetzt haben beide erst einmal eine Bauecken-Auszeit.“
Als Mutter habe ich die Erfahrung gemacht, dass sich die Zeit, die diese Methode benötigt, lohnt. Erstens ist die Lösung meist tragfähig. Zweitens kann der Konflikt ohne Schuldzuweisung gelöst werden. Drittens lernen die Kinder, ihre Gefühle zu regulieren und Konflikte selbst zu lösen. In der Kita profitieren viertens sogar die unbeteiligten Kinder: Durch reines Zuschauen lernen sie zu deeskalieren.
Das ist auch die Rückmeldung, die ich von Erziehern erhalte, die auf diese Art versuchen, mit Konflikten unter Kindern umzugehen. Immer, sagt Simone beispielsweise, gehe das so nicht, dafür sei es manchmal einfach zu stressig. Aber jeder Streit, der so gelöst werden kann, ist ein Geschenk!
Bleiben Sie dran. Es lohnt sich!
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